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Auslegung einer Versorgungsordnung: Ausscheiden aus Unternehmen als - unklare - Voraussetzung für Anspruch auf Invaliditätsversorgung
Sieht eine vom Arbeitgeber erlassene Ruhegeldordnung vor, dass der Mitarbeiter für die Dauer der Berufs-/Erwerbsunfähigkeit eine Berufs-/Erwerbunfähigkeitsrente erhält, der vor dem Erreichen der Altersgrenze aus dem Betrieb des Arbeitgebers ausscheidet und nachweist, dass er von da ab zu mindestens 50% berufs- oder erwerbsunfähig ist, so ist gemäß § 305c Abs. 2 BGB (Unklarheitenregel) davon auszugehen, dass das tatsächlich faktische Ausscheiden genügt, um einen Anspruch auf betriebliche Berufs-/Erwerbsunfähigkeitsrente zu begründen.
BAG, Urt. v. 23.03.2021 - 3 AZR 99/20 - Langohr-Plato, jurisPR-ArbR 27/2021 Anm. 5
Kommentar: Das BAG-Urteil ist insoweit eine konsequente Fortführung der bisherigen AGB-Rechtsprechung des Ruhegeldsenats, als es kollektiv wirkende Versorgungsordnungen uneingeschränkt der richterlichen AGB-Kontrolle unterwirft. Überraschend mag allenfalls das Ergebnis sein, dass das BAG unter dem Begriff „Ausscheiden aus dem Unternehmen“ nicht zwingend die rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses verstanden wissen will, sondern insoweit auch ein Ruhen des Arbeitsverhältnisses als „faktische Beendigung“ für ausreichend hält. Dies dürfte für viele Arbeitgeber, die in aller Regel durchaus zwischen einem beendeten und einem ruhenden Arbeitsverhältnis zu differenzieren wissen, tatsächlich überraschend sein, mit den entsprechenden sich hieraus für die Leistungsgewährung ergebenden finanziellen Konsequenzen.
Hinterbliebenenversorgung: Zulässigkeit einer einjährigen Mindestehedauer in einer Versorgungsordnung
In Allgemeinen Geschäftsbedingungen kann der Arbeitgeber eine zugesagte Hinterbliebenenversorgung ausschließen, wenn die Ehe bis zum Versterben des Versorgungsberechtigten nicht mindestens zwölf Monate gedauert hat und die Hinterbliebene die Möglichkeit hat, darzulegen und ggf. zu beweisen, dass der Berechtigte aufgrund eines erst nach der Eheschließung erlittenen Unfalls oder einer erst später eingetretenen Krankheit gestorben ist.
BAG, Urt. v. 09.03.2022 - 3 AZR 254/11 - Langohr-Plato, jurisPR-ArbR 10/2022 Anm. 5
Kommentar: Die Entscheidung ergänzt einerseits die bisherige Rechtsprechung des Ruhegeldsenats zur Zulässigkeit von Ausschlussklauseln im Bereich der Hinterbliebenenversorgung wie z.B. „Spätehenklauseln“ oder „Altersabstandsklauseln“. Andererseits wird die bisherige Rechtsprechung zur „Mindesteheklausel“, die bislang nur überlange Mindestehedauern als unzulässig bewertet hat (vgl. BAG, Urt. v. 19.02.2019 - 3 AZR 150/18 für den Fall einer zehnjährigen Mindestehedauer) dahingehend konkretisiert, dass eine einjährige Mindestehedauer nicht zu beanstanden ist, wenn dem Hinterbliebenen die Möglichkeit gegeben wird, die Todesumstände darzulegen und nachzuweisen, dass der Tod durch ein atypisches Ereignis, wie z.B. eine bislang nicht vorhandene Krankheit oder einen Unfall eingetreten ist.
Soweit eine Mindestehedauerklausel in einer Versorgungsordnung/-zusage vereinbart werden soll, ist dies nach den insoweit vorliegenden Entscheidungen des BAG vom 19.02.2019 und vom 02.12.2021 nur dann rechtlich zulässig, wenn es sich um eine Mindestehedauer von einem Jahr handelt. Zudem sollte man, analog zur gesetzlichen Rentenversicherung, die Möglichkeit vorsehen, das Vorliegen einer Versorgungsehe zu widerlegen (vgl. insoweit auch Rolfs in: Blomeyer/Rolfs/Otto, BetrAVG, 7. Aufl., Anh. § 1 Rn. 201; Borchard in: Schlewing/Henssler/Schipp/Schnitker, Arbeitsrecht der betrieblichen Altersversorgung, Stand: Juni 2018, Teil 9 C Rn. 67) oder zumindest den Gegenbeweis zulassen, dass der Tod auf einem atypischen Ereignis beruht hat. Das Interesse des Arbeitgebers, den Kreis der Versorgungsberechtigten zu begrenzen und insbesondere Versorgungsehen von einer Hinterbliebenenversorgung auszunehmen, ist damit hinreichend berücksichtigt.
Pfändbares Arbeitseinkommen i.S.v. § 850 Abs. 2 ZPO: Entgeltumwandlung nach Pfändungs- und Überweisungs-beschluss
Vereinbaren die Arbeitsvertragsparteien, dass ein Teil der künftigen Entgeltansprüche des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin in eine wertgleiche Anwartschaft auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung umgewandelt wird (Entgeltumwandlung), die im Wege der Direktversicherung durchgeführt wird, entstehen insoweit keine pfändbaren Ansprüche auf Arbeitseinkommen (§ 850 Abs. 2 ZPO) mehr.
Das gilt auch dann, wenn die Arbeitsvertragsparteien die Entgeltumwandlungsvereinbarung erst nach Zustellung eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses über das Arbeitseinkommen des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin getroffen haben, sofern der Arbeitnehmer/die Arbeitnehmerin von seinem/ihrem Recht aus § 1a Abs. 1 Satz 1 BetrAVG Gebrauch gemacht hat und der umgewandelte Entgeltbetrag den in § 1a Abs. 1 Satz 1 BetrAVG vorgesehenen Betrag nicht überschreitet. In einem solchen Fall liegt in der Entgeltumwandlungsvereinbarung auch keine den Gläubiger benachteiligende Verfügung i.S.v. § 829 Abs. 1 Satz 2 ZPO.
BAG, Urt. v. 14.10.2021 - 8 AZR 96/20 - Langohr-Plato, jurisPR-ArbR 4/2022 Anm. 4
Kommentar: Das BAG bestätigt mit seinem Urteil seine bisherige Rechtsprechung, wonach Beiträge zur Finanzierung einer betrieblichen Altersversorgung im Wege der Entgeltumwandlung grundsätzlich das pfändbare Arbeitseinkommen i.S.v. § 850 Abs. 2 ZPO reduzieren (so bereits: BAG, Urt. v. 17.02.1998 - 3 AZR 611/97 - NZA 1998, 707; vgl. ferner: BAG, Urt. v. 30.07.2008 - 10 AZR 459/07 - NZA 2009, 747). Neu ist insoweit, dass das BAG dabei erstmalig klarstellt, dass auch dann, wenn die Entgeltumwandlungsvereinbarung erst nach der Zustellung eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses eines Dritten an den Arbeitgeber getroffen wurde, jedenfalls das pfändbare Arbeitseinkommen reduziert wird, wenn die Entgeltumwandlung innerhalb des Entgeltumwandlungsanspruchs nach § 1a Abs. 1 Satz 1 BetrAVG und insbesondere innerhalb des dort normierten Höchstbetrages von 4% der Renten-BBG erfolgt.
In praktischer Hinsicht bedeutet die Entscheidung des BAG eine Bestätigung dahingehend, dass der Entgeltumwandlungsanspruch einen weitreichenden Pfändungsschutz genießt. Sie kann damit als zusätzliche Motivation für den Arbeitnehmer dienen, sich dieser Form der betrieblichen Altersversorgung zuzuwenden und so eine zusätzliche Absicherung seines Lebensstandards im Alter zu ermöglichen.